Dragon’s Dogma: Eine Geschichte übers Spielen

Mit dem kommenden Release von Dragons Dogma 2 wird es Zeit, einen Artikel über den Vorgänger zu schreiben. Genauer geht es mir um dessen Story. Auf den ersten Blick scheint sie eine seichte Fantasy-Geschichte zu sein, bei der es darum geht, einen großen Drachen zu erschlagen. Allerdings steckt dahinter viel mehr. Achtung: Dieser Beitrag ist voller Spoiler.

Eine nutzlose Beschäftigung

Dragon’s Dogma ist mein liebstes Game überhaupt, und die Story ist einer der Gründe. Sie lässt sich von mehreren Blickwinkeln betrachten und interpretieren. Aber alles der Reihe nach. Nach dem Tutorial wird der Spieler von dem folgenden Zitat begrüßt:

Das köstliche und immer wieder originelle Vergnügen einer nutzlosen Beschäftigung

Dieses Zitat stammt von Henri de Régnier, auch bekannt als Hugues Vignix, über den der Autor dieser Zeilen nicht mehr sagen kann, als er auf dessen Wikipedia-Artikel nachlesen kann. Selbiger Autor fragt sich, wie viele Spieler dieses Zitat bereits vergessen haben, nachdem sie ihren Charakter zum ersten Mal steuern dürfen. Dabei weist es auf wundervolle Weise auf den Sinn und Unsinn der Story hin.

Im Grunde könnte ich diesen Beitrag damit abschließen: Das Zitat handeln vom Spielen, in diesem Falle von Videospielen. Allerdings glaube ich kaum, dass die Entwickler nur ausdrücken wollten, dass Videospiele eine lustige, aber zwecklose Angelegenheit ist. Wollen sie uns erziehen? Ist das nur ein Scherz? Nein, dieses Zitat zieht sich durch die gesamte Story.

Die Geschichte beginnt mit dem eigenen Charakter, wie er einem neuen Tag im dem Fischerdorf Cassardis entgegenblickt – bis ein Drache es verwüstet. Während die meisten anderen Fischer dem feurigen Hauch und den gewaltigen Klauen des Drachen zum Opfer fallen oder fluchtartig davonrennen, stellt sich der Spielercharakter ihm mutig entgegen. Vergeblich.

Doch der Drache erkennt etwas in dem Charakter, spricht einige kryptische Worte in Fake-Latein und entreißt ihm sein Herz. Das ist jedoch nicht sein Ende. Stattdessen erwacht er herzlos wieder zum Leben. Er oder sie ist nun ein „Erweckter“, ein Held mit der Aufgabe, den Drachen zu erschlagen und sein Herz zurückzuerobern.

Die Aufgabe des Erweckten

Als „Erweckter“ hat man allerhand zu tun: Monster erschlagen, die Drahtzieher hinter einer Untotenplage aufdecken, einen bösen Kult fassen, die neue, junge Gemahlin des Fürsten des Nachts in ihren Gemächern aufsuchen … Es hat erst einmal wenig mit dem Drachen zu tun, bis dieser in einer der besten Zwischensequenzen des Spiels wieder auftaucht.

Wer jedoch einen Vorgeschmack darauf haben will, was einem am Ende erwartet, der kann in der Hauptstadt einen NPC namens Baudric aufsuchen. Der ehemalige Gelehrte hat nun das Gewand eines Spinners und Schwätzers angenommen und wird von den meisten für verrückt gehalten. Für ihn sind die Welt und alle Menschen lediglich eine Illusion, und die Menschen sind dessen Sklaven.

Sobald es zum Finale mit dem Drachen kommt, darf der Spieler einem umfassenden philosophischen Dialog beiwohnen. Jeder einzige Satz des Drachen Grigori ist pures, bedeutungsschwangeres Gold.

Was ist der Unterschied zwischen einem Menschen und einem Tier? Beide leben, beide atmen, beide essen, pflanzen sich fort. Und doch, Menschen haben mehr vollbracht. Sie haben Städte und Reiche errichtet, sie haben Geschichte geschrieben und Taten vollbracht. Was ist es, das Menschen antreibt?

Nicht genügend Spiele erlauben die Kombination aus Schwert + Bogen

Der Drache Grigori spricht von dem Willen innerhalb des Menschen, der zu großen Taten anspornt. Einem ureigenen Gefühl, „mehr“ sein zu wollen als ein bloßes Tier. Diesen Berg zu besteigen. Ein großes Kunstwerk zu erschaffen. Einen fremden Kontinent zu erforschen. Einen Drachen zu töten.

Schließlich kämpft der Erweckte gegen den Drachen, um sein Herz zurückzuerobern. Und damit sein Leben, welches ihn an diese Welt bindet. Es ist ein Kampf, den er aus einem freien Willen heraus führt. Indem der Erweckte diesen Kampf annimmt, bejaht er sein Leben und sein Dasein.

Immer wieder spricht Grigori von dem Willen, nur um das eigene Überleben zu kämpfen. Dieser Wille ist entscheidend und die Grundlage, befähigt einem aber zu mehr. Grigori spricht davon, wie dieser Wille, der Wille des Erweckten, die Welt antreibt. Zeit selbst „fließt“ durch die Schritte des Erweckten.

Natürlich, denn wenn der Spieler das Spiel nicht startet, der „Erweckte“ sich nicht durch diese Welt bewegt, dann tut sich auch in der Welt nichts. Sie steht still, sie lebt nicht ohne den Erweckten. Und sie ist bevölkert von NPCs, von seelenlosen Figuren, die nur gemäß ihrer Programmierung agieren.

Der Spielercharakter, als Avatar des Spielers, ist die „Achse“ dieser Welt. Er besitzt freien Willen, wie nur der Spieler als lebendiger Menschen ihn besitzen kann. Dieser Kampf geschieht nur, weil der Spieler es so will. Kein NPC könnte diesen Kampf ausfechten, denn dazu wurden sie nicht programmiert.

Das Spiel weiß, es ist ein Spiel

Dragon’s Dogma ist auf wunderbare Weise sich seiner bewusst, ein Videospiel zu sein. Das Zitat am Anfang weist deutlich darauf hin. Das tut es allerdings nicht, indem es irgendeine „Fourth Wall“ bricht. Die Metaphysik, das narrative Geflecht des Spiels ist in sich geschlossen und würde auch als Buch, Film und dergleichen funktionieren.

Damit versucht Dragon’s Dogma nicht cleverer zu sein, als es sein muss. Es ist keine selbstironische Wendung oder kein mittelmäßiger Simulations-Twist. Die Welt von Dragon’s Dogma ist eine Fantasy-Welt mit ihren eigenen Gesetzen. Von außen betrachtet, als Spieler vor der Konsole oder dem PC, funktioniert sie allerdings auch auf einer anderen Meta-Ebene.

Der Truchsess und der Test des Willens

Ihr glaubt, ich interpretiere viel zu viel in ein paar Dialogfetzen hinein? Es geht noch weiter. Denn es gibt einen Grund, warum der Drache einem das Herz stiehlt und den Willen testet. Mächtiger Spoiler-Alert, aber mit dem Erschlagen des Drachens und der Wiedergewinnung des eigenen Herzens ist die Geschichte noch nicht vorbei.

In der Hauptstadt Gran Soren tut sich ein mächtiger Abgrund auf, Monster strömen heraus und bevölkern die Straßen und dunklen Ecken, und ein apokalyptisch-dunkler Himmel drückt die Stimmung. Drache tot, alles gut? Eigentlich sieht alles schlimmer aus.

Wer sich die Zeit nimmt und das tiefe Loch in der Stadt erkundet (und die fiesen Gegner darin plattmacht), der kommt dem wahren Ende des Spiels näher – und damit der tatsächlichen Bestimmung des „Erweckten“.

Es ist ein japanisches RPG: Natürlich ist der Endboss Gott.

Der Drache war, so lernen wir, auch mal ein Erweckter. Tatsächlich war jeder Drache, den man im Spiel findet und erschlagen kann, einst ein Mensch, dem das Herz buchstäblich gestohlen wurde. Nur haben sie während ihrer Heldenreise versagt und wurden als Drache wiedergeboren, um weitere Helden zu testen.

Verantwortlich dafür ist der Truchsess der Welt. Man könnte auch Gott sagen. Ihm begegnen wir zwischen den Welten und auch hier ist es ein Test des Willens.

Ich könnte an dieser Stelle mehr auf die anderen Themen der Story eingehen. Nietzsche und der Wille zur Macht schwingen mit. Ebenso typisch asiatisch-pessimistische Weltansichten, der ewige Kreislauf, aus dem es kein Entrinnen gibt. Samsara und die Sehnsucht nach Erlösung.

„Ohne Willenskraft gibt es kein Leben“, sagt der Hüter der Welt. Ihm sollen wir zeigen, dass wir mehr sind „als ein hohles Gefäß, von unsichtbaren Mächten angetrieben“. Kein NPC. Ein Mensch, mit einem eigenen Antrieb, der frei handelt und sein Schicksal ergreift.

Subtil ist das Spiel gewiss nicht, was seine Themen anbelangt.

Und wozu das Ganze? Der Truchsess ist müde, sein Wille bald erloschen. Doch dieser Wille ist es, der die Welt antreibt, der ihr Leben gibt. Derselbe Wille, der das Spiel anschaltet, wodurch die Welt erst zum Leben erwacht.

Der Erweckte soll ihn ersetzen und ihn von diesem kalten Dasein erlösen. Das ist der Sinn und Zweck des Drachens und dieses ganzen Tests.

Und wenn der Spieler es annimmt, wird der Erweckte selbst zum neuen Gott. Er erlöst den früheren Truchsess ab und nimmt seinen Thron als Hüter der Welt ein. Ein gutes Ende? Schließlich ist man zum Gott aufgestiegen! Doch ist man damit nicht selbst im Kreislauf gefangen?

Noch mehr Dinge geschehen und es wird richtig interessant, wenn der Spieler mit demselben Spielstand ein neues Playthrough startet und die Story noch einmal durchlebt. Dann erwartet einen am Finale eine Überraschung (abhängig davon, ob man online spielt oder nicht).

Zu viel Interpretation?

Vielleicht interpretiere ich tatsächlich zu viel in die Geschichte, die Dialoge und die Metaphysik hinein. Vielleicht ist es aber auch nur eine valide Interpretation von vielen. Doch das gefällt mir an der Geschichte von Dragon’s Dogma, die so viel mehr ist, als es auf dem ersten Blick erscheint. Unter anderem deswegen ist es mein liebstes Spiel.

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