Icewind Dale – von Eistrollen und Heldengruppen

Die Jahre um die 2000er herum waren eine glorreiche Zeit für Rollenspielfans. Arcanum, Baldur’s Gate, Planescape Torment, Fallout und viele mehr begeisterten Gamer auf der ganzen Welt. Neben dem üblichen Looten und Leveln haben sie eine andere Gemeinsamkeit: Du erstellst in ihnen einen Charakter, den Hauptcharakter. Den Rest der Abenteurergruppe füllt das Spiel mit vorgefertigten Figuren, aus denen man sich ein buntes Team zusammenmischen kann. Manchmal sterben sie, manchmal hauen sie ab, manchmal findet der Spieler auch schlicht jemand anders, der oder die ihm besser gefällt. Zuweilen können diese Charaktere den Verlauf der Story maßgeblich beeinflussen. Später haben die Reihen Dragon Age und Mass Effect vorgemacht, was mit den Gefährten möglich ist.

Heute gilt Baldur’s Gate 2 als der beliebtere und wegweisendere Teil, verglichen mit seinem Vorgänger Baldur’s Gate 1. Der Nachfolger reduzierte die Anzahl der rekrutierbaren Wegbereiter, erweiterte jedoch deren Geschichten, Dialoge und gestaltete die Interaktion mit ihnen umso komplexer. Eine Änderung zum Vorgänger stellt auch der verstärkte Fokus auf Romanzen und Liebschaften dar. Jeder Elf-Begleiter hatte nun gefälligst weiblich und sexuell verfügbar zu sein (tschüss Kievan, Xan, Coran und Khalid, ihr wart tolle Charaktere, doch hattet ihr das falsche Geschlecht). Dragon Age und Mass Effect boten den Spielern ebenfalls ausufernde Quests mit dem hehren Ziel, möglichst viel mit den auserwählten Charakteren zu schnacken. Auch bei Baldur’s Gate 3 wird es nicht anders sein: Tatsächlich gelten Romanzen in RPG-Spielen als wichtiger Grundpfeiler und Garant für den Erfolg. Oder anders ausgedrückt: Viele Spieler sind notgeil.

Worauf will der Autor dieser Zeilen nun hinaus? Um Baldur’s Gate herum entstand eine andere Spiel-Reihe, die ebenfalls auf der Infinity Engine basierte, das D&D Regelwerk nutzte und ordentliches Fantasy-Gekloppe bot: Icewind Dale. Allerdings unterscheidet sich diese Reihe von den zuvor beschrieben Spielen dahingehend, dass man den ganzen Trupp selbst erstellt. Keine vorgefertigten Begleiter, daher auch keine Romanzen und allgemein ein verstärkter Fokus auf Gameplay und weniger auf die Story. Und möglicherweise ist das der Grund, warum diese Reihe trotz aller Qualitäten mit der Zeit in Vergessenheit geriet. Zu Unrecht, wie ich finde.

In den frostigen Norden

Die Icewind Dale Reihe verschleppt euch in das gleichnamige Icewind Dale, Faerûns eisiger nordwestlichster Zipfel. Weg von der drögen, standardmäßigen Swordcoast, hin zu Nordbarbaren und Eisdrachen, Frosttrollen und Reifriesen, zu Gletschern und verschneiten Tälern, warmen Untergrundhöhlen und gefrorenen Tempeln. Man merkt schon, „Eis“ ist hier das Programm und das wirkt sich wunderbar auf die gesamte Atmosphäre des Spieles aus. Im Gegensatz zu Baldurs Gate oder gar Neverwinter Nights präsentieren sich diese beiden Teile rauer, härter und auch bodenständiger. Wo Forgotten Realms manchmal sehr kitschig und zu sehr high-fantasy sein kann, bietet das Icewind Dale beste Conan-Abenteuer und lassen einem Bilder im Kopf entstehen wie von Frazetta gezeichnet. Die ernsten, teils düsteren Charakter-Porträts vervollständigen den Eindruck einer Heldengruppe abgehärteter Draufgänger. Dazu tragen auch maßgeblich die wunderschönen 2D-Hintergründe bei und auch der großartig melancholische und bodenständig-heroische Soundtrack (im zweiten Teil von Inon Zur).

Doch was treibt deine Heldengruppe nun hierher? Die Story beider Teile ist schnell erzählt: Die 1 bis 6 Abenteurer sind schlichtweg Söldner auf der Suche nach Ruhm und Reichtum. Im ersten Teil werden sie von dem Fischerdorf Osthafen (Easthaven) rekrutiert, um in Kuldahar nach dem Rechten zu sehen. Dieser von einem Druiden geleitete Ort ist im Vergleich zum Rest des Eiswindtals deutlich wärmer, angenehmer und überraschend schneefrei. Das hat Kuldahar der magischen Eiche zu verdanken. Doch natürlich regt sich ein Böses und versucht, diese Magie zu zerstören. Im zweiten Teil ankert deine Truppe in Targos, eine der Zehn-Städte. Gerade rechtzeitig, denn der Hafen wird von Goblins angegriffen. Nach der erfolgreichen Befreiung des Hafens werden sie von der Stadt angeheuert, denn eine Goblin-Armee marschiert heran und sie können jeden dahergelaufenen Söldner aus dem Süden gebrauchen. Natürlich, in bester D&D-Manier stellt sich in beiden Teilen nach und nach heraus, dass hinter den Angriffen eine größere und finstere Macht steckt.

Gewöhnt euch an den Schnee in Icewind Dale.

Icewind Dale ist Fantasy-Gekloppe in Reinkultur

Um diesem Bösen auf den Grund zu gehen, wird deine Heldengruppe ausgesandt. Nach und nach kloppen sie sich durch die schneeweiße Wildnis, durch verschiedene Höhlen, Grüfte, Tempel und Forts. Bisweilen geht es durch das Unterreich der Drow, in verlassene Zwergenstollen oder sie besuchen ein Mönchskloster hoch auf einem Berg errichtet. Ein gefrorener Tempel wird genauso durchforstet wie von Pilzen überwucherte Stollen oder eine zerstörte Elfen-Festung. Dabei gilt es, verschiedensten Gegnern das Handwerk zu legen und ihnen die kostbaren EXP abzunehmen. Loot gibt es zuhauf, bald schon trägt keiner mehr ein einfaches Kettenhemd, ein simples Langschwert und einen standardmäßigen Schild.

Icewind Dale 2 Höhlenkämpfe
Ekliges Kriechgetier kann man auch bekämpfen

Worin diese Spiele absolut glänzen ist das Design der Gefechte. Abwechslungsreiche Gegner, interessante Raum-Layouts und ein fordernder Schwierigkeitsgrad machen das Kloppen zu einem Genuss – wenn man darauf steht. Wer RPG’s lieber wegen der Charakterinteraktion oder der Story spielt, und bis hierher gelesen hat, der hat womöglich seine Zeit verschwendet. In der Tat, manchmal kann es schon recht ermüdend sein, gerade in Arealen, wo das Encounter Design eher faul wirkt (ich schaue dich an, Eistempel in Icewind Dale 2). Doch auch wenn nicht jeder Spielabschnitt glänzt, so lohnt es sich doch, durchzuhalten, denn bald kommen wieder fordernde und spannende Kämpfe, in denen sich die immer stärker werdenden und besser ausgerüsteten Helden messen können.

Charakter-Erschaffung und leveln

Der erste Teil läuft noch unter der 2. Edition von Dungeons and Dragons. Daher: Charakterwerte werden ausgewürfelt, können dann aber frei verteilt werden. Minimale und maximale Attribute werden von der Wahl der Rasse und der Klasse bestimmt, aber wie viele Punkte man bekommt, das hängt vom eigenen Würfelglück ab. Angesicht dessen, wie bockschwer dieses Spiel sein kann, lohnt es sich, viel Zeit mit dem Auswürfeln zu verbringen. Manche Klassen sollten auf ein Gesamtergebnis auf um die 90 kommen.

Will gar nicht wissen, wie viel Zeit ich hier verbracht habe, um auf das perfekte Ergebnis zu kommen.

An Klassen und Rassen gibt es die gewohnte Auswahl, nur das Multiclassing und Dual-Classing kann für Neulinge irritierend sein. Wer zuvor Baldurs Gate gespielt hat, kennt es. Nicht-Menschen können mit Multi-Klassen zwei oder drei Klassen gleichzeitig leveln und die Vorteile aller drei nutzen, jedoch mit ein paar Restriktionen. Dual-Classing gibt es nur für Menschen. Dabei leveln sie eine Klasse für eine Weile und fangen dann mit einer neuen von Level 1 an. Sobald diese neue Klasse höher ist als das Level der alten Klasse, erhält der Charakter die Vorteile beider Klassen, kann die alte aber nicht mehr leveln. Ideal für das Powergaming. Die Beamdog-Version addiert noch zusätzliche „Class-Kits“ dazu, Subklassen, die noch mächtiger sind als ihre Basis-Varianten. Zum Beispiel mein Liebling: Der Bogenschütze.

Ja, ich packe gerne Charaktere aus meinen Büchern in diese Spiele.

Tipp: Wer neuere Editionen von Dungeons and Dragons gewöhnt ist, der wird womöglich ein paar der Attribute überschätzen. Intelligenz ist wirklich nur für Magier wichtig und jene, die Zauber durch Schriftrollen erlernen, wie Barden. Weisheit spielt nur für Kleriker und Druiden eine Rolle.

Icewind Dale 2 läuft unter 3e. Nicht das beliebtere 3.5e, dennoch bringt es ein paar Neuerungen. Da wären erst einmal Feats. Diese zusätzlichen Talente sind heute bei RPGs Standard und helfen dabei, die eigenen Charaktere noch mehr zu individualisieren. An Klassen gibt es die gewohnte Kost, nur Multiclassing funktioniert anders und kein Dual-Classing mehr. An Rassen gibt es ein paar richtig interessante Varianten. Neu sind spielbare Drow, Grauzwerge und „Svirfneblin“, die Tiefen-Gnome. Auch Tieflinge und Aasimare sind dabei. Diese sind mächtigere Rassen mit mehr Boni und Fähigkeiten, müssen dafür aber beim Level-Aufstieg eine Extra-Steuer bezahlen. Sie leveln langsamer auf, weswegen sie sich für kleinere Truppen besser eignen.

Drows sind eine Spezialität in Icewind Dale 2 mit besseren Werten und mehr Eigenschaften als andere spielbare Völker. Allerdings leveln sie dafür langsamer auf.

Die Wahl der Klasse und Völker

In beiden Spielen hat die Wahl der richtigen Klassen und Rassen nicht nur mechanische Relevanz. Natürlich, man möchte mindestens zwei gute Frontkämpfer, mindesten einen Magier und einen Priester (oder Druiden) plus mindesten einen Schurken für Schlösser und Fallen. Die Klassen können auch für zusätzliche EXP-Einnahmen sorgen. Daher ein paar Tipps für Klassen, die nicht immer dabei sein müssen, aber auch abseits des Kampfes etwas bieten.

Barde: Manche halten sie für nutzlos, andere für wertvolle Mitglieder: Gib deinem Barden nicht nur hohes Charisma, sondern auch viel Intelligenz und lass ihn mit den Leuten sprechen. Gerade am Anfang von Icewind Dale 1 gibt es ein paar Quests, bei denen ein Barde mit maximaler Intelligenz und Charisma für zusätzliche Erfahrungspunkte sorgen kann. Außerdem gibt es für den Barden einige mächtige Items.

Erkennt den jemand? Wikinger-Fans, vielleicht?

Druide: Auch der Druide kann ein paar zusätzliche EXP zur Party beisteuern, jedoch ist es nicht immer ersichtlich. In Icewind Dale 1 hat er fast die gleichen Zauber wie die Kleriker, weswegen er diese ersetzen kann.

Paladin: Ein zweischneidiges Schwert: Einerseits super für Dialoge dank ihrem hohen Charisma, starke Frontlinienkämpfer mit mächtigen Ausrüstungsgegenständen. Allerdings kürzen sie manche Quests ungemein ab, indem sie automatisch das Böse erkennen. Da entgehen einem dann schon ein paar EXP und interessante Nebenquests.

Abgesehen davon gibt es selbst unterschiedliche Dialoge basierend auf dem Volk des Charakters. Icewind Dale 2 treibt das noch weiter auf die Spitze: Eine Gruppe bestehend aus Drow sorgt dafür, dass mehrere NPCs in Targos euch zunächst für den Feind halten.

Einige NPCs reagieren ziemlich schockiert, wenn sie erfahren, dass auch Drow sich der Verteidigung der Stadt angeschlossen haben.

Der ganz eigene Trupp

Die eigenen Charaktere spielen in der Story von Icewind Dale weniger eine Rolle. Schließlich sind sie nur ein paar Söldner, keine Grauen Wächter, Kinder des Bhaal oder sonst wie Auserwählten. Die so oft beschworene Bindung an den Plot fehlt. Trotzdem sind sie keine Nebenfiguren, sondern ebenfalls Akteure, welche über das Schicksal des Icewind Dales entscheiden. Und ist es ganz allein der eigene Trupp. Bei der Charakterer-Erschaffung kann man sich komplett austoben. Zum Beispiel thematische Gruppen, wie eine Underdark-Söldnertruppe. Auch in Sachen Powergaming gibt es mehr Freiheiten. Während andere Spiele (auch Baldurs Gate) einen komplett eigenen Trupp optional anbieten, sind Icewind Dale 1 und 2 von Grund auf darauf ausgerichtet. Und um ehrlich zu sein, ich mag meine eigenen Leute mehr als das, was mir andere Spieleentwickler vorsetzen. Meistens jedenfalls.

Abschließendes

Nun, damit habe ich viel darüber erzählt, was für eine tolle Spiele-Reihe es doch ist. Sie ist allerdings nicht für Jedermann. Wie bereits angesprochen, das Kämpfen ist ein wichtiger Aspekt und wenn einem das bei RPGs nicht so sehr liegt, dann dürfte diese Reihe eher ermüdend sein. Andere Aspekte wie Klassen- und Rassen-spezifische Quests und Dialoge sind auch keine Neuerungen. Möglicherweise ist es auch schlicht Nostalgie. Jedoch, diese Reihe hat das Herz am rechten Fleck und hat mehr Aufmerksamkeit verdient.

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